Während des EU-Lateinamerika-Gipfels in Madrid wurden das „Assoziationsabkommen“ mit Zentralamerika und Verträge mit Peru und Kolumbien unterzeichnet. Dabei hat wieder einmal das Europa der Konzerne seine Interessen durchgesetzt.
Es ist immer schwierig, ein großes Gipfeltreffen als Erfolg zu verkaufen, wenn keine konkreten, der Allgemeinheit begreiflichen Ergebnisse dabei herausschauen. Vor diesem Dilemma standen auch die Staats- und Regierungschefs vor dem 6. Treffen der EU mit Lateinamerika und der Karibik, das Mitte Mai in Madrid stattfand. Da der schillernde venezolanische Präsident Hugo Chávez dem Treffen „aus Gründen der Tagesordnung“ fernblieb, fehlte der für die Medien so attraktive Glamour-Faktor. Die einzige öffentlich wahrgenommene Kontroverse wurde rechtzeitig ausgeräumt: Angesichts der Boykottdrohung der südamerikanischen Präsidenten verzichtete der honduranische Staatschef Porfirio Lobo auf eine Teilnahme. Seine Wahl, die von einem Putschregime veranstaltet wurde, wird in Lateinamerika als illegitim angesehen.
Die Europäer sind da pragmatischer. Sie wollten das Assoziationsabkommen mit Zentralamerika unter Dach und Fach bringen. Die stets gepredigten Demokratiestandards durften dem nicht im Wege stehen. Durch die anfängliche Isolationspolitik gegenüber den Putschisten hatte man schon zuviel Zeit verloren. So wurden die 2007 begonnenen und nach dem Putsch vom 28. Juni des Vorjahres unterbrochenen Verhandlungen wieder aufgenommen, sobald Lobo Ende Jänner sein Amt übernommen hatte. Karl Buck, jüngst pensionierter Leiter der Abteilung Beziehungen zu Lateinamerika im EU-Ministerrat, verteidigt diese inkonsequente Haltung: „Ich habe von vornherein gewarnt, dass man überlegen soll, ob die schnelle Parteinahme für die eine oder andere Seite durchzuhalten ist.“ Es sei zwar unbestreitbar, dass das Regime die Menschenrechte verletzte, doch müsse man „auf die einwirken, die an der Macht sitzen“.
Also wurde Lobo vom offiziellen Gipfel diskret ausgeladen, durfte aber am folgenden Tag anreisen, als es darum ging, das festgefahrene Assoziationsabkommen unterschriftsreif zu machen. Das ist auch gelungen. Nach wenigen Stunden war eine Einigung da, mit der alle Beteiligten glauben, leben zu können und die dem Gipfel im Nachhinein ein vorzeigbares Ergebnis bescherte. Wie es so ist bei Verhandlungen, gaben beide Seiten ein wenig nach: Die Europäer bestanden nicht mehr darauf, Zentralamerika mit 4.500 Tonnen Trockenmilch zu überschwemmen. Es dürfen künftig aber immerhin jährlich 1.900 Tonnen zollfrei in die Region geliefert werden. Die Zentralamerikaner ihrerseits verzichteten darauf, die EU-Subventionspolitik zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen und öffnen ihre Grenzen weiter für europäische Investitionen.
Panamas Präsident Ricardo Martinelli feierte den Abschluss der Gespräche pathetisch als „historisches Abkommen“ und „Instrument, das mit Armut und Ungleichheit aufräumen wird“. Martinelli, selbst ein millionenschwerer Unternehmer, hängt also noch der von der Wirklichkeit längst widerlegten „Trickle-down-Theorie“ an, wonach sich Entwicklung und Wohlstand für alle früher oder später einstellen, wenn die Konzerne gut verdienen. Das praktiziert er schließlich auch im eigenen Land, wo Lizenzen an multinationale Bergbauunternehmen ohne jede Rücksicht auf Naturschutz oder indigene Landrechte vergeben werden.
Für die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die auf dem Gegengipfel in Madrid Alternativen zu den neoliberalen Rezepten diskutierten, ist das Abkommen in erster Linie ein Freibrief für die Eroberung der zentralamerikanischen Märkte durch europäische Unternehmen. Der spanische Multi Telefónica kontrolliert bereits 35 Prozent des Fernsprechgeschäfts in der Region, der Energiekonzern Union Fenosa, ebenfalls aus Spanien, hat in Panama, Nicaragua und Guatemala 80 Prozent der ehemals staatlichen Elektrizitätsgesellschaften aufgekauft.
Gerade Unión Fenosa hat sich einen verheerenden Ruf geschaffen und wurde auf dem „Tribunal der Völker“ im Vorfeld des Gipfels wegen Verletzung der Menschenrechte verurteilt. In der Zentrale der Kopenhagener Initiative für Zentralamerika und Mexiko (CIFCA), einem Zusammenschluss katholischer entwicklungspolitischer Organisationen, hat man das Betragen des spanischen Multis akribisch dokumentiert. Der Anwalt Luis Guillermo Pérez Casas, Geschäftsführer der Plattform, zitiert eine jüngst veröffentlichte Studie: „Unión Fenosa hat in Guatemala und Nicaragua die einst staatliche Stromversorgung übernommen. Eine der ersten Maßnahmen war die Installation von Stromakkumulatoren. Wenn die Menschen nicht genug Geld haben, um den eigenen Stromanschluss zu bezahlen, dann zapfen sie oft illegal das Kabel an.“ Diese Akkumulatoren sorgen jetzt dafür, dass Leute, die das Netz anzapfen, einen starken Stromschlag bekommen. Daran seien bereits mehrere Menschen gestorben. Immer mehr Familien können sich den legalen Anschluss nicht mehr leisten, denn mit der Privatisierung sind auch die Stromtarife in die Höhe geschnellt.
Auch Raül Romeva, ein Abgeordneter zum Europaparlament der spanischen Grünen, der sich mit der Thematik lange befasst hat, erkennt im Abkommen eine klare Schlagseite: „Ich sehe ganz klar das Interesse europäischer Konzerne, sich in Zentralamerika an Ausschreibungen zu beteiligen, vor allem im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen. Was ich weniger deutlich sehe, ist dass es zentralamerikanische Unternehmen gibt, die in Europa konkurrenzfähig wären.“ In Zentralamerika profitieren seiner Ansicht nach vor allem die industriellen Agrarproduzenten.
Nicht viel anders verhält es sich mit dem Abkommen, das die EU mit Kolumbien und Peru ausgehandelt hat und das in Madrid bereits paraphiert wurde. Ein internes Papier, das in Brüssel zirkulierte, feiert das Ergebnis als „USA plus“. Das heißt, die EU steigt dabei noch besser aus als die USA bei den für die Großmacht günstigen Freihandelsabkommen mit lateinamerikanischen Ländern. So müssen Peru und Kolumbien ihre Grenzen für europäische Molkereiprodukte, Schweinefleisch und Weine öffnen. Den Investitionen europäischer Konzerne sind kaum mehr Grenzen gesetzt. Ursprünglich wurde mit der Andengruppe verhandelt. Aber Bolivien und Ecuador, beide links regiert, wollten die Spielregeln nicht akzeptieren. Sie strebten ein Abkommen an, das den größtmöglichen Nutzen für alle zum Ziel hätte, nicht die Wohlstandssteigerung einer wirtschaftlichen Elite. Was in Bolivien „vivir bien“ und in Ecuador „el buen vivir“ (Gutes Leben) genannt wird, basiert auf der Erkenntnis, dass die Ressourcen der Welt endlich sind, jede Wohlstandssteigerung also auf Kosten von Umwelt oder anderer Menschen gehen muss. Es gelte also gut zu leben und nicht, immer besser zu leben.
Gustavo Hernández, der in Brüssel ein Netzwerk von Organisationen aus Europa und der Andengruppe koordiniert, spricht von einem Perspektivenwechsel, der in seiner Bedeutung mit der Aufklärung vor 300 Jahren vergleichbar sei. Bekanntlich hat auch die Aufklärung mehr als hundert Jahre gebraucht, um sich durchzusetzen. Und die EU, die den Ehrgeiz hat, der wirtschaftlich mächtigste Block der Erde zu werden, ist für ein Umdenken offenbar noch nicht reif. Deswegen zogen sich Bolivien und Ecuador zurück, was vor allem für Ecuador schmerzhaft war, weil der größte Bananenexporteur Lateinamerikas jetzt Exportquoten verliert. Übrig blieben Kolumbien und Peru, beide rechts regiert. Nach Einschätzung von Experten hat vor allem Kolumbien das für die eigene Wirtschaft nachteilige Abkommen akzeptiert, um sein Image aufzupolieren. Ähnliche Abkommen mit den USA, Kanada und Norwegen wurden von den Partnerländern aus menschenrechtlichen Erwägungen suspendiert. In keinem Land Amerikas ist es so gefährlich, gewerkschaftliche Arbeit zu machen, wie in Kolumbien. Die Politik ist eng mit den Paramilitärs verflochten, die durch Massaker und Vertreibungen riesige Ländereien unter ihre Kontrolle bringen konnten.
Für die EU ist Kolumbien vor allem ein viel versprechender Markt. Die großen Unternehmen, von Siemens und Bayer bis zu den spanischen Giganten Telefónica und Repsol sind dort alle vertreten. Den Bedenken gegen die verheerende Menschenrechtsbilanz der kolumbianischen Regierungen begegnet man mit dem Einbau einer Demokratie- und Menschenrechtsklausel in das Abkommen. Raül Romeva sieht darin eine zahnlose Alibifunktion: „So was hat noch nirgends funktioniert.“ Dass in Menschenrechtsfragen kein Klartext gesprochen wird, beweist auch die Abschlusserklärung des Gipfeltreffens, die um das Thema der Frauenmorde in Mexiko und Guatemala einen eleganten Bogen macht. Nicht nur zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, sondern auch das Europaparlament hatten eine Aufforderung an die verantwortlichen Regierungen, die Serie von brutalen Morden an Frauen und Mädchen ernsthaft zu untersuchen und abzustellen, hineinreklamiert. Übrig blieb dann eine lauwarme Verurteilung „jeder Art von genderbasierter Gewalt“ und die Anerkennung, „dass es notwendiger Maßnahmen bedarf, um ihr vorzubeugen und sie auszurotten“.
Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und ist von Wien aus für mehrere deutschsprachige Medien tätig.
Zum 4. EU-Lateinamerika-Gipfel vor vier Jahren in Wien und dem Alternativgipfel siehe SWM 5 und 7-8/06.
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